Bemerkungen zu einem vlog von Anna Althouse

Auf diesem Video stellt Anna Althouse einige interessante Gedanken zum Thema Ebooks vor:

Unser Gedächtnis beim Lesen ist ein fotografisches: wir merken uns beim Lesen, an welcher Stelle auf einer Seite wir einen Satz, einen Begriff usw. gelesen haben. Wir merken uns aber auch, an welcher Stelle im Buch wir eine Seite gelesen haben, indem wir die Dicke des Buches fühlen.

Daraus ergeben sich mehrere Folgerungen:

  • Wir sind auf einen gleich bleibenden Seitenspiegel angewiesen. Wenn wir Texte als scrollbaren Einheit lesen, dann können wir uns nicht mehr problemlos darin orientieren. Wir haben entsprechend mehr Schwierigkeiten, uns Begriffe zu merken. Ein Ebook sollte also einen gleich bleibenden Seitenspiegel verwenden. Schwieriger ist es natürlich mit der Buchdicke. Diese kann nur durch eine Scrollbar o.ä. simuliert werden.
  • Dieselbe These verwendet Anna Althouse auch gegen Hörbücher. Auch hier wird der Text nicht mehr mit dem Seitenspiegel aufgenommen, sondern kombiniert mit völlig neuen Eindrücken, die wir während dem Lesen aufnehmen. Da diese Eindrücke zufällig sind, nicht etwa vergleichbar mit dem mnemotechnischen Verfahren jener Kombinationen, die wir künstlich herstellen z.B. zwischen Zahlenreihen und einem natürlichen Ablauf – einem Weg, den wir sehr gut kennen, können wir auch Texte, die wir auditiv wahrnehmen, weniger gut merken.

Zwei Bemerkungen dazu:

  • Das fotografische Gedächtnis beim Lesen ist tatsächlich auch für mich wichtig, aber nicht für alle Bücher. Hörbücher können bei literarischen Texten völlig neue "Leseerlebnisse" vermitteln. Ich erinnere mich sehr genau an die Buddenbrooks von Thomas Mann. Ich habe während vieler Spaziergänge dieses wirklich exklusive Hörbuch genossen. Ich erinnere mich sogar an einzelne Passagen sehr präzis, aber auch daran, wo ich sie gehört habe. Ähnliche Hörbucherlebnisse habe ich von Dostojevskis "Schuld und Sühne".
    Dies widerspricht nicht dem fotografischen Gedächtnis, es wird vielmehr für mich klar, dass Verknüpfungen in unserem Hirn beim Lesen, im Falle von Hörbüchern völlig neue Verbindungen schaffen können.
  • Was Sachtexte betrifft, glaube ich auch, dass der gleich bleibende Satzspiegel wichtig ist. Er gibt uns eine gewisse Sicherheit im Memorieren, er gibt uns die Sicherheit, dass wir zurückblättern können, dorthin, wo wir noch etwas vage in der Erinnerung haben. Natürlich kann man die digitale Suchfunktion brauchen, aber nur dann, wenn man sich an den Begriff erinnert. Die fotografische Suchfunktion eignet sich für die vage Erinnerung.
    Die Frage ist allerdings, ob sich unser Gedächtnis nicht auch in dieser Beziehung verändern wird, ein Kommentator des Videos von Anna Althouse vertritt zumindest diese Ansicht.