Angelus novus im Zentrum Paul Klee

Letzte Nacht war ich zu Besuch im ZPK in Bern. Mein Interesse war durch die Darbietung von Carl Djerassi während den Solothurner Literaturtagen sehr stark gestiegen. Warum hatte Walter Benjamin das Bild “Angelus novus” in Paris zurückgelassen? Was hat Klee mit seinem “Angelus novus” dargestellt? Mit dieser Frage konfrontierte uns der amerikanische Wissenschaftler und Schriftsteller in Solothurn. Wie sieht das Bild im Original aus, das vor den Nazis versteckt worden ist und das schliesslich den Weg zu Adorno nach New York gefunden hat?

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Kurz vor Mitternacht komme ich ins Zentrum Paul Klee. 20 bis 30 Personen sind in den Hallen – eine familiäre Atmosphäre. Man hat genügend Platz, um sich die Bilder in der Ausstellung in aller Ruhe anzuschauen. Auch vor besagtem Bild sind kaum Besucher.

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(Paul Klee, Angelus novus, 1920, Ölpause und Aquarell auf Papier auf Karton, 31,8 x 24,2 cm – The Israel Museum, Jerusalem, Schenkung John und Paul Herring, Jo Carole und Ronald Lauder, Fania und Gershom Scholem)

 

Wen stellt dieser Engel dar? Mit dieser Frage gehe ich zum Konzert von Dänu Brüggemann. Nur wenige Zuhörer sind um diese Zeit noch hier.

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Im Hintergrund an der Wand steht:

“Es gibt ein Bild von Paul Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.”

Walter Benjamin

Ist dies also das Geheimnis des Angelus novus? Oder ist dieser Engel der Verkünder des neuen Deutschlands, der 1919 und 1920 als erfolgloser Maler tätig war und dann als politischer Agitator berühmt wurde? Dies jedenfalls meint Djerassi.

2 Antworten auf „Angelus novus im Zentrum Paul Klee“

  1. Vielleicht ist es auch einfach ein ganz normales Bild ohne tieferen Sinn? Müssen Deutschlehrer immer in jede Sache alles denk- und undekbare hineininterpretieren? 😉

    1. Lieber Marco,
      Nein, nein, das ist kein “ganz normales Bild”. Walter Benjamin hat es 1920 für sich entdeckt und hat seine geschichtsphilosophische Theorie zum Begriff des Fortschritts anhand dieses Bild entwickelt. In schwierigen wirtschaftlich-politischen Zeiten hat er es über 20 Jahre mit sich getragen. Und hat dem Bild, durch seine philosophische Vereinnahmung und seiner bildmächtigen Sprache, eine zusätzliche Dimension hinzugefügt, die bis heute den Betrachter des “Angelus Novus” und den Leser Benjamins das Geheimnis von guter Kunst sichtbar werden läßt.
      Auch ich trage dieses Bild mit mir rum. Als künstlerischer Sicht, hat für mich, Benjamin, die Engels-Metapher in die Moderne gerettet. Um einen hohen Preis hat er sie gerettet. Seitdem ist die Engels-Methapher nicht denkbar ohne den Verweis auf Trümmer und Zerstörung.
      Bildtitel, die ich in meinen Bildern verwende, sind davon geprägt. “Engel ohne Auftrag” oder ” Der Engel, der sich umgedreht hat” und “Wenn Menschen über Menschen, wie über Trümmer gehen.”
      Das Klee-Bild ist natürlich in seiner Bedeutungsmächtigkeit umfassender zu lesen, als nur auf die Benjaminsche Weise.
      Das macht gute Kunst eben aus.
      Bloggering09

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