Zitat des Tages – 6.5.21

In einem Mail, das die Journalistin Mela Eckenfels an die Schauspielerin Ulrike Folkerts geschrieben hat, beschreibt jene, was sie in der Zeit der Pandemie gelernt hat. Sie sei nach Ausbruch der Pandemie überzeugt gewesen, dass wir eigentlich über das Wissen verfügen, das wir zur Bewältigung haben müssen, dass wir als Staatsgemeinschaft zusammenstehen und diese Pandemie durchstehen werden.

Inzwischen habe ich, bedauerlicherweise, jeden Respekt vor einem großen Teil meiner Mitbürger verloren. Ich musste meinen Glauben, dass wir als gebildete, nahezu vollständig alphabetisierten Gesellschaft, die Informationen nutzen, die wir haben, um vernunftgesteuerte Entscheidungen zu treffen, revidieren. Das schon sehr früh, als Menschen mit Klopapier und Mehl überladene Einkaufswägen aus den Supermärkten schoben und Handdesinfektionsmittel aus Krankenzimmern stahlen. …
Auf was ich überhaupt nicht vorbereitet war, war, dass die erste konsequente Reaktion auch die einzige konsequente bleiben sollte und wir uns in eine Spirale aus Wissenschaftsleugnung, Partikularinteressen, Inkompetenz und Entscheidungsschwäche hineinmanövrieren. …
Was mir nicht nur auf die Nerven ging, sondern mich auch schockierte, war, wie dünn sich der zivilisatorische Lack auf einmal erwies. …

Unter welchem Stein, oder in welchem Loft muss man sich verkrochen haben, um sich zynisch über zehntausendfaches Leid zu erheben und sich mit derartig schäbigen Videos über die zu stellen, die wollen, dass wir alle gut durch diese Zeit kommen?

Quelle: Nur eine Mail an Ulrike Folkerts – und doch so viel mehr

Was Citizen Kane zu einem guten Film macht

Vor einigen Jahren lasen wir im Ethik-Unterricht in Fernando Savaters Tu, was du willst – Ethik für die Erwachsenen von morgen. In Kapitel 4, Mach Dir ein schönes Leben, steht am Schluss

Jetzt, um dieses Kapitel etwas entspannter zu beenden, schlage ich Dir vor, dass wir ins Kino gehen. Wenn du willst, können wir einen tollen Film sehen mit Orson Wells als Regisseur und Hauptdarsteller: Citizen Kane. Ich rufe ihn Dir kurz ins Gedächtnis zurück: Kane ist ein Multimillionär, der ziemlich skrupellos in seinem Palast in Xanadu eine riesige Sammlung aller schönen Dinge und kostbaren Dinge der Welt angesammelt hat. … Am Ende seines Lebens geht er alleine durch die Räume seines Wohnsitzes, die voller Spiegel sind, die ihm tausendmal das Bild eines Einsamen zurückwerfen: Nur sein Spiegelbild leistet ihm Gesellschaft. Am Ende stirbt er, ein einziges Wort murmelnd: “Rosebud”. Ein Journalist versucht die Bedeutung dieses letzten Seufzers herauszufinden, aber ohne Erfolg.

Natürlich habe ich mit meiner Klasse den Film angeschaut. Was hat Kane gemeint? Was war so wichtig für ihn? Oder was bedeutet Glück für einen Menschen, der eigentlich alles besitzt, was man besitzen kann? Das Geheimnis erfährt man am Schluss des Filmes. So richtig überrascht hat uns die Lösung des Rätsels Rosebud aber nicht.

Vor 80 Jahren hat Orson Wells diesen Film gemacht, der einen unwahrscheinlichen Einfluss auf das Kino gehabt hat.

Um zu verstehen, warum Citizen Kane lange als der grösste Film aller Zeiten gegolten habe, müsse man sich nur mal die Filme anschauen, die vorher gemacht worden seien, so zu lesen auf Openculture. Der Einfluss auf das Kino sei derart tiefgreifend und seine Techniken so allgegenwärtig, dass sie heute alltäglich erscheinen. Das sagt der Sprecher des folgenden YouTube-Videos.

Und hier findet man den phänomenalen Trailer.

Weitere Informationen und Videos:
What Makes Citizen Kane a Great Film: 4 Video Essays Revisit Orson Welles’ Masterpiece on the 80th Anniversary of Its Premiere

 

Zitat des Tages – 25.4.21

Thomas Metzinger auf heise online:

Unternehmen organisieren ethische Pseudo-Debatten, um Zeit zu kaufen, damit sie weiter Produkte in den Markt drücken und Regulierung erst einmal verhindern können. …
Die Konzerne ziehen bereits ihre eigenen Fake-Ethiker heran.

Quelle: Was war. Was wird. Ist es schon Tollheit, so hat es doch Methode. | heise online

UTB-Online-Wörterbuch Philosophie – kostenlos

Nicht nur für den Philosophieunterricht, auch für Arbeiten in andern Gebieten kann dieses Wörterbuch nützlich sein.  Hier hat man Zugriff auf das UTB-Online-Wörterbuch Philosophie, das seit Juli 2011 freigeschaltet ist.

Nach einigem Recherchieren habe ich im englischsprachigen Raum folgende Wörterbücher und Nachschlagewerke mit freiem Zugang gefunden:

Nachtrag vom 7.11.2018

Der Link zum Wörterbuch ist tot

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Eine Suche nach dem Wörterbuch führt schliesslich zu diesem Ergebnis

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Mythos vom freien Internet

Jeden Tag kann man bei O’Reilly radar vier kurze Links erhalten, so auch gestern. Meistens findet man sehr viel Anregendes über aktuelle Entwicklungen im Zusammenhang mit den neuen digitalen Technologien. Gestern fand man einen Link auf einen sehr interessanten Artikel von Peter Osnos mit dem Titel “The Enduring Myth of the ‘Free’ Internet”. Er spricht vom “Mantra” des freien Internets.

Auf der einen Seite jene, die abschätzig von einer neuen Gratiskultur des Internets sprechen. So versuchen uns die Medien immer wieder klarzumachen, dass diese Gratis-Mentalität auf die Dauer nicht funktionieren könne. So lesen wir etwa im tagespiegel.de “Medienkonzerne erklären Gratiskultur zum Jahrhundertirrtum“. In diesem Artikel wird darauf hingewiesen, dass immer mehr Medienunternehmen weltweit Bezahlangebote einführen würden:

Die Umsonstkultur des Internets wies nicht den Weg in eine Ära von Prosperität, sondern löste die schwerste Medienkrise seit Erfindung der Drucktechnik aus. Die Verlage investierten weltweit Milliarden in die neue Technik, ohne je angemessene Erträge einzufahren.

Auf dieser Seite ist man also überzeugt, dass sich nun das Blatt wendet1. Etwas anders liegt die Problematik der Musik- und Filmindustrie. Hier sieht man riesige Verluste, weil viele Nutzer sich im Internet gratis bedienen. So liest man in einem Artikel von Zeit online mit dem Titel “Noch immer sind 95 Prozent aller Downloads illegal“:

Im Digital Music Report zieht die Branche Bilanz: Es werde mehr Musik im Netz verkauft. Doch der Schaden durch Piraterie koste bis 2015 rund eine Million Kreativ-Jobs.

Zur Eindämmung dieser Downloads werden in Deutschland kistenweise Abmahnungen ausgesprochen, dies mit Bezug auf Urheberrechtsverletzungen.

Auf der andern Seite sieht man gerade dieses freie Internet in Gefahr. Einerseits wird die Vorstellung des traditionellen Urheberrechtes in Frage gestellt. Dies macht etwa die Piratenparteien, indem sie sich für eine Modernisierung des Urheberrechtes, aber auch für einen freien Zugang einsetzen.2

Was aber ist das freie Internet? Ein Mythos, sagt Pester Osnos. Es gibt kein freies Internet. Coinstar money transfer Er rechnet in seinem Artikel vor, was seine Frau und er jährlich für den Internetzugang alles ausgeben. Von einem freien Internet kann also nicht die Rede sein. Der Autor zählt auf, welche Kosten in seiner Familie anfallen:

  • Gebühren für das Mobiltelefon (Abonnementskosten, ev. Zusatzkosten bei Mehrgebrauch)
  • Kabelanschluss für den Internetzugang zu Hause
  • gelegentliche Kosten für Filme und andere Inhalte
  • zusätzliche Steuern

Er kommt auf 225$ monatliche Kosten. Wenn man die zusätzlichen Kosten für die Hardware mitrechnet, dann sieht die Rechnung nochmals anders aus. Zu den obigen Beträgen kommen:

  • Anschaffung eines Mobiltelefons
  • Anschaffung eines Computers, Laptops, iPad etc.
  • Anschaffung von zusätzlichen Speichermedien

Diese Angaben stammen aus dem genannten Artikel. Wenn ich meine Kosten betrachte, dann sehe ich weitere Ausgaben:

  • Gebühren für den Usenet-Zugang (ist nicht unbedingt nötig, aber bequem)
  • Abonnement bei Pressdisplay für eine grosse Auswahl an Zeitungen
  • Zeitungsabonnemente (umfassen auch den Zugang zu digitalen Inhalten)
  • Kostenpflichtige Software, die für mehr oder weniger sicheres Surfen im Internet sorgt

Das sind zusätzliche Kosten, die mir spontan einfallen. Rechnet man alles zusammen, dann wird der Betrag eher höher sein, als jener, den Osnos nennt. Frei ist dieser Internetzugang also ganz klar nicht. Er kostet viel, eigentlich sehr viel. So erstaunt es nicht, dass viele Menschen in vielen Ländern – nicht nur in “armen” – sich keinen Highspeed-Zugang zum Internet leisten können. Osnos schreibt, dass sich 100 Mio Amerikaner keinen solchen Zugang leisten können, entweder aus finanziellen Gründen oder aus Gründen der mangelnden Infrastruktur. Von einer Gratiskultur zu sprechen ist also völlig schief, gratis gibt es da nichts. Aber das Geld fliesst halt nicht zu jenen, die die Inhalte machen:

Consumers pay huge amounts of money to connect their computers and phones to the pipelines carrying the flow of content, but very little of that money makes its way into the pockets of the people who create that content. Instead, the money goes to the Internet service providers and others who control the pipeline. This, in my opinion, should change3.

Die Situation ist wirklich paradox: Ich bezahle z.B. dafür, dass ich diese Blogbeiträge ins Internet stellen kann.

Angelus novus im Zentrum Paul Klee

Letzte Nacht war ich zu Besuch im ZPK in Bern. Mein Interesse war durch die Darbietung von Carl Djerassi während den Solothurner Literaturtagen sehr stark gestiegen. Warum hatte Walter Benjamin das Bild “Angelus novus” in Paris zurückgelassen? Was hat Klee mit seinem “Angelus novus” dargestellt? Mit dieser Frage konfrontierte uns der amerikanische Wissenschaftler und Schriftsteller in Solothurn. Wie sieht das Bild im Original aus, das vor den Nazis versteckt worden ist und das schliesslich den Weg zu Adorno nach New York gefunden hat?

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Kurz vor Mitternacht komme ich ins Zentrum Paul Klee. 20 bis 30 Personen sind in den Hallen – eine familiäre Atmosphäre. Man hat genügend Platz, um sich die Bilder in der Ausstellung in aller Ruhe anzuschauen. Auch vor besagtem Bild sind kaum Besucher.

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(Paul Klee, Angelus novus, 1920, Ölpause und Aquarell auf Papier auf Karton, 31,8 x 24,2 cm – The Israel Museum, Jerusalem, Schenkung John und Paul Herring, Jo Carole und Ronald Lauder, Fania und Gershom Scholem)

 

Wen stellt dieser Engel dar? Mit dieser Frage gehe ich zum Konzert von Dänu Brüggemann. Nur wenige Zuhörer sind um diese Zeit noch hier.

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Im Hintergrund an der Wand steht:

“Es gibt ein Bild von Paul Klee, das Angelus Novus heißt. Ein Engel ist darauf dargestellt, der aussieht, als wäre er im Begriff, sich von etwas zu entfernen, worauf er starrt. Seine Augen sind aufgerissen, sein Mund steht offen und seine Flügel sind ausgespannt. Der Engel der Geschichte muss so aussehen. Er hat das Antlitz der Vergangenheit zugewendet. Wo eine Kette von Begebenheiten vor uns erscheint, da sieht er eine einzige Katastrophe, die unablässig Trümmer auf Trümmer häuft und sie ihm vor die Füße schleudert. Er möchte wohl verweilen, die Toten wecken und das Zerschlagene zusammenfügen. Aber ein Sturm weht vom Paradiese her, der sich in seinen Flügeln verfangen hat und so stark ist, dass der Engel sie nicht mehr schließen kann. Dieser Sturm treibt ihn unaufhaltsam in die Zukunft, der er den Rücken kehrt, während der Trümmerhaufen vor ihm zum Himmel wächst. Das, was wir den Fortschritt nennen, ist dieser Sturm.”

Walter Benjamin

Ist dies also das Geheimnis des Angelus novus? Oder ist dieser Engel der Verkünder des neuen Deutschlands, der 1919 und 1920 als erfolgloser Maler tätig war und dann als politischer Agitator berühmt wurde? Dies jedenfalls meint Djerassi.

Komplexität der modernen Welt

Als ich neulich in die Autogarage eines sehr guten Kollegen gekommen bin, sehe ich zufällig die Motoren von zwei verschiedenen Autos. Ich erfahre, wie schwierig es geworden sei, an modernen Automotoren etwas zu reparieren. Ich werde Zeuge, welcher Handgriffe es schon nur bedarf, um eine einfache Birne auszuwechseln.

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Dies das Bild eines Opel Corsas, Jahrgang 2004. Der ganze Motorraum ist völlig ausgefüllt, auch für einen Mechaniker eine Herausforderung. Als Nichtfachmann lässt man da lieber die Finger davon. Um eine Birne auszuwechseln muss der Luftfilter entfernt werden. Die Elektronik ist allgegenwärtig. Bei einem Defekt gibt der angeschlossene Computer nachher Auskunft über die Fehlerquellen.

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Hier das Bild eines VW Karmann, Jahrgang 1959. Der Motorraum ist fast leer, die Batterie steht etwas abseits, sie auszuwechseln ist ein Kinderspiel. Aber auch sonst würde man als Bastler an einem solchen Motor durchaus noch auf seine Kosten kommen. Hier kann der Mechaniker noch auf seine ursprünglich Intuition vertrauen, d.h. insbesondere auf sein Gehör, wenn der Motor nicht ganz rund läuft.

Die Welt wird dauernd komplexer – nicht nur in Bezug auf Automotoren. Unsere Kinder heute wachsen in der "Welt des Opel Corsa" auf, auf diese Realität müssen wir sie vorbereiten. Die "Karmann-Welt" ist unsere nostalgische Vergangenheit. Es wäre fatal für unsere Kinder, wenn wir so täten, wie wenn Motoren heute immer noch so wie 1959 aussehen würden, oder konkreter: wenn wir sie auf eine Welt ohne Hightech, ohne Computer vorbereiten würden. Ob es ihnen und uns passt oder nicht, die Welt ist komplexer geworden, aber auch die heutigen Probleme sind komplexer geworden. Um in dieser Welt bestehen zu können, muss man anders wahrnehmen, denken und handeln können als zur "Karmann-Zeit".